01. Dezember 2023 – Der Zins ist zurück, und er ist gekommen um zu bleiben. Dennoch: Das „Zurück zum Sparbuch“ kann nicht die alleinige Lösung für eine langfristigen Vermögensaufbau sein, denn nach Abzug der Inflation spart man sich jedes Jahr ärmer. Stattdessen lohnt auch 2024 ein Engagement am Kapitalmarkt. Bei aller Unsicherheit: Die Chancen überwiegen, vor allem am Aktienmarkt.
Wie wird das Kapitalmarktjahr 2024? Die wichtigste Botschaft ist: Der Zins ist zurück, und er ist gekommen um zu bleiben. Außerdem entscheiden die Schlüsselfaktoren Wachstum, Inflation und Geldpolitik über den Verlauf des Börsenjahres. Bei vielen dieser Punkte war oder ist die Nachrichtenlage schwierig, das Kapitalmarktumfeld ist also unsicher. Bedeutet diese Kombination, dass man für den langfristigen Vermögensaufbau sein Heil in der Sicherheit suchen soll?
Aus Sicht von Dr. Frank Engels, CIO und für das Portfoliomanagement verantwortlicher Vorstand von Union Investment, lautet die Antwort: Nein, vielmehr sieht er bei den Schlüsselfaktoren Fortschritte, wenn auch noch keine endgültige Entwarnung. „In den USA verdichten sich die Hinweise auf eine sanfte Landung der Konjunktur“, analysiert er mit Blick auf die wirtschaftliche Lage in der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt. Zwar rechnet er über die Wintermonate wegen auslaufender Pandemieprogramme, einer Normalisierung am Arbeitsmarkt und einer gedämpften Investitionstätigkeit mit einer Verlangsamung der Wachstumsdynamik. Eine Rezession erwartet er aber nicht. In der zweiten Jahreshälfte sollten wieder anziehende Investitionen das Wachstum ankurbeln. „Auf Jahressicht dürften die Vereinigten Staaten um rund 1,5 Prozent wachsen“, fasst Engels zusammen.
Europa tut sich wirtschaftlich schwerer. Der Euroraum dürfte nur knapp der Rezession entgehen. Ein Grund dafür sind die straffen Finanzierungsbedingungen durch die gestiegenen Zinsen. Wegen einer Stabilisierung der Realeinkommen, also der Einkünfte nach Abzug der Inflationsrate, ist aber auch hier ab dem Sommer mit einer Rückkehr auf den langfristigen Wachstumspfad zu rechnen. „Für 2024 sind 0,5 Prozent Wachstum im Euroraum möglich“, so Engels. „In Deutschland dürfte das Wachstum etwas darunter liegen.“
Inflation im flachen Abwärtstrend
Bei der Teuerung sieht der Kapitalmarktvorstand den Höhepunkt längst erreicht. „Die Inflation sinkt, mittlerweile auch in der Kernrate, das heißt ohne die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise. Dieser Trend sollte 2024 anhalten“, sagt er und verweist auf die Entspannung bei den Energiepreisen und die Normalisierung des Güterangebots nach der Corona-Pandemie. Gleichzeitig ist aber davon auszugehen, dass der weitere Rückgang nur langsam vorankommt. Insbesondere der in vielen Volkswirtschaften enge Arbeitsmarkt dürfte schnell fallende Teuerungsraten verhindern.
Leitzinsplateau reicht bis ins zweite Halbjahr
Nach den schnellen und scharfen Anhebungen der Leitzinsen durch die Notenbanken dürfte der Gipfel in den USA und Europa nunmehr erreicht sein. „Wir erwarten keine steigenden Leitzinsen mehr in diesem Zyklus. Die nächsten Schritte werden nach unten sein“, so Engels. Angesichts der fallenden Inflationsraten und des mittlerweile recht hohen Renditeniveaus am Anleihemarkt hält er weitere Verschärfungen der straffen Geldpolitik für nicht mehr notwendig. „Die Notenbanken können das Zinsniveau jetzt auf die Wirtschaft wirken lassen.“ Gleichzeitig bleibt der Abwärtstrend bei der Teuerung jedoch flach. Das spreche dafür, dass die Notenbanken die Leitzinsen so schnell nicht absenken werden.
„Hoch für längere Zeit – aber eben nicht noch höher“, erläutert Engels. „Der Zinsgipfel wird sich in den kommenden Monaten zu einem Zinsplateau verfestigen“. Erst ab Mitte 2024 könnten die Zentralbanken angesichts der nachlassenden Inflation zu Leitzinssenkungen übergehen. Im Fall der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) rechnet Engels bis zum Jahresende 2024 mit Senkungen um bis zu 100 Basispunkte, bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hält er bis zu 75 Basispunkte für realistisch.
Aktien als favorisierte Anlageklasse
Diese Kombination aus allmählich besser werdenden Wachstumsaussichten, nachlassender Inflation und ersten Leitzinssenkungen dürfte nach Einschätzung des Kapitalmarktstrategen dazu führen, dass Aktien auf Jahressicht die besten Perspektiven aufweisen. „Die positiven Treiber kommen vor allem in der zweiten Jahreshälfte zum Tragen“, betont er jedoch. Das Potenzial für Kursanstiege dürfte dabei in etwa dem Wachstum der Unternehmensgewinne entsprechen, die Engels mit bis zu zehn Prozent auf Indexebene beziffert. Bei Sektoren und Stilrichtungen, also Wachstum oder Substanz, rät er zu einer ausgewogenen Aufstellung. „Wir rechnen in fast allen Branchen mit Gewinnwachstum, aber eben nicht bei allen Unternehmen. Für den Anlageerfolg wird es also vor allem auf die Auswahl ankommen.“
Bei sicheren Staatsanleihen erwartet Engels keinen breit angelegten Renditerückgang. „Die Leitzinssenkungen der Notenbanken dürften dazu führen, dass vor allem bei kurzlaufenden Papieren die Renditen sinken. Bei den längeren Laufzeiten wirken der bessere Wachstumsausblick und der hohe Refinanzierungsbedarf in den nächsten Jahren einem Rückgang jedoch teilweise entgegen“, analysiert er. In der Folge rechnet Engels bei zweijährigen US-Staatsanleihen mit einem Rückgang der Renditen unter starken Schwankungen bis zum Jahresende auf 3,75 Prozent, während sie bei zehnjährigen Papieren nur auf 4,25 Prozent zurückgehen dürften. Im Euroraum ist mit einer ähnlichen Entwicklung zu rechnen. Hier geht Engels per Ende 2024 von einem Renditeniveau von 2,5 Prozent bei zweijährigen und 2,7 Prozent bei zehnjährigen Bundesanleihen aus. Anlegern auf der Suche nach Renditeaufschlägen rät Engels zu Unternehmensanleihen guter Bonität (Investment Grade). „Sowohl die absolute Rendite als auch die Risikoaufschläge (Spreads) sind attraktiv, die fundamentale Situation der Unternehmen ist gut“, meint er.
Bei den Rohstoffen sind die Industriemetalle als strukturelle Gewinner des grünen Umbaus der Wirtschaft die Favoriten im Jahr 2024. Anders bei Rohöl: „So lange eine Eskalation im Nahen Osten ausbleibt, verfügen Energierohstoffe nur über ein begrenztes Aufwärtspotenzial“, kommentiert Engels.
Herausforderndes, aber auch aussichtsreiches Kapitalmarktjahr 2024
Geopolitische Risiken wie der Konflikt zwischen Israel und der Hamas, aber auch die Spannungen zwischen den USA und China sowie die US-Wahlen sind nur einige der möglichen Herausforderungen für das Kapitalmarktjahr 2024. Auch bei den fundamentalen Schlüsselfaktoren Konjunktur, Inflation und Geldpolitik sind nicht alle Unsicherheiten beseitigt. Dennoch sieht Engels hier deutliche Fortschritte, die sich in den nächsten Monaten weiter festigen sollten. „Die Lage bessert sich langsam, aber stetig – und zwar auf allen für die Kapitalmärkte besonders relevanten Feldern. Die Wintermonate dürften dabei noch eher schwierig bleiben, bevor sich die Perspektiven für Risikoanlagen im weiteren Jahresverlauf zunehmend verbessern.“ Daher rät er Investoren, die Chancen an den Kapitalmärkten nicht aus den Augen zu verlieren. „Das Kapitalmarktjahr 2024 dürfte herausfordernd, aber eben auch aussichtsreich werden. Anleger sollten dabei einen kühlen Kopf bewahren“, fasst er zusammen.